Projektarbeit
Gedenktafel Magdeburger Maueropfer
Ein Schulprojekt in Zusammenarbeit zwischen der Klasse 10/4 des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Magdeburg und dem Stadtarchiv Magdeburg
Die Aufstellung des „Mauerstücks“ befindet sich an der Lothar-Kreyßig-Straße
In Auseinandersetzung mit dem schmerzhaften Kapitel europäischer Geschichte zwischen 1949 und 1989 anhand persönlicher Schicksale von Menschen, die in der Stadt Magdeburg lebten, erforschten Schülerinnen und Schüler der Klasse 10/4 deren Biografien. In diesem Zusammenhang entstand der vorliegende Entwurf zur Erinnerung an diese Opfer.
Deutschland 1945:
Zerstört. Schuldig. Gehasst.
Das deutsche Volk gebrochen und unsicher vor dem, was es erwartet.
Den Zweiten Weltkrieg, den Deutschland initiierte und der viel zu hohe Opfer forderte, beendeten die Alliierten mit der bedingungsloslosen Kapitulation Deutschlands.
So war es ihnen auch möglich, mit dem Potsdamer-Abkommen 1945 die weitere Entwicklung in den vier Besatzungszonen und damit den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte zu bestimmen.
Die Uneinigkeit der Regierungsmächte führte schonungslos zu einer harten Teilung des deutschen Staates 1949.
Die Folge dieser klaren Trennung in den Ost- und Westblock war ein harter politischer Schnitt durch Europa, der auch unter dem Begriff “Eisernen Vorhang” in die Geschichte eingegangen ist. Der “Eiserne Vorhang” steht auch als Synonym für den Kalten Krieg, welcher durch gegenseitiges Wettrüsten, Stellvertreterkriege und politische Konkurrenz bestimmt wurde. Somit ist es nicht verwunderlich, dass 1949 bereits erste Opfer an dieser Teilung zu beklagen sind.
Ost- und Westblock, die DDR und die BRD, standen sich in diesen Zeiten wie Tag und Nacht gegenüber.
Die politische Führung in der DDR, erließ strikte Verbote für das Überqueren der Grenze für ihre Staatsbürger.
- Günther Lehning
- Gerhard Oelze
- Käthe Arndt
- Herrmann Schübele
- Klaus Kühne
- Klaus Grimm
- Burkhard Fischbock+Joachim Zepernick
- Dietmar Schwietzer
- Nadine Klinkerfuß
- Wolfgang Bothe
- Hartmut Tautz
- Mariane Rogge
- Hans Peter Milau
- Klaus-Dieter Felsch
So beklagen wir auch ein erstes Opfer aus Magdeburg, den Wachtmeister Günther Lehning.
Geboren: am 4. September 1930 in Magdeburg
Gestorben: am 8. November 1949 durch Suizid
Ort des Geschehens: Kommando Drösede der Grenzbrigade Salzwedel
Günther Lehning 1930 in Magdeburg geboren. Er diente Nach der Gründung der DDR bei der Grenzpolizei mit dem Dienstgrad eines Wachtmeisters.
Am 2. November 1949 musste er zu einer fünftägigen Arreststrafe antreten. Die Begründung für diese Strafe ist bis heute nicht bekannt, aber sie steht vermutlich im Zusammenhang mit dem Schutz der neuen Grenze zur BRD und damit in nicht eingehaltenen Vorschriften.
Am Abend des 7. November 1949 trat Günter Lehning wieder in seiner Dienststelle im Kommando in Drösede zu seinem Dienst um 22:30 Uhr an. Hier teilte ihm sein Kommandant seine Entlassung aus dem Dienst der Grenzpolizei mit.
Höchstwahrscheinlich erschütterte ihn diese Nachricht, und auch die damit im Zusammenhang stehende und verbüßte Haftstrafe, deren Gründe nicht bekannt sind, sehr. In der Nacht zum 8.Novermber beging Günther Lehning einen Suizid.
In einer offiziellen Meldung der Grenzpolizei der DDR wurde mitgeteilt, dass aufgrund der Entlassung aus dem Dienst der Grenzpolizei eine Gemütsstörung bei Günther Lehning hervorgerufen wurde. Weiterhin wurde erklärt, dass er wenige Minuten vor seinem Freitod die benutze Waffe (Pistole 08) aus dem Waffenschrank in der Wachstube des Kommandos entnommen hatte. Mit dieser soll er sich gegen 2:15 Uhr auf dem Dachboden des Kommandogebäudes erschossen haben. Die Verwundung befand sich in der Herzgegend. Der dabei entstandene Brustdurchschuss führte zum sofortigen tot.
Als Beweis für den Suizid diente ein Abschiedsbrief, der in Lehnings Jacke gefunden wurde. Der Brief zur Stützung der Aussage liegt als Dokument nicht vor. Günther Lehning hat nach Aussage der Polizei in diesem Brief mitgeteilt, dass er seinem Leben ein Ende bereiten wolle.
Recherche: MP
Quellen:
- DGP: Berichte und Meldungen über Schusswaffengebrauch 1949
- 1953. BArch Freiburg DVH 27/130291.
So beklagen wir auch ein erstes Opfer aus Magdeburg, den Wachtmeister Günther Lehning.
Ort des Vorfalls: auf der Flucht erschossen
bei Walbeck, nahe Schwanefeld
(Sachsen-Anhalt)
Gerhard Oelze erblickte am 26. Juni 1920, zwei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, in Magdeburg das Licht der Welt. Über seinen Lebensweg konnten wir leider nicht viel in Erfahrung bringen.
Fakt ist, dass er in einer sehr schwierigen Zeit aufwuchs. Es ist die Zeit der Gründung der Weimarer Republik, der Überwindung alter politischer Strukturen, verbunden mit sehr blutigen Auseinandersetzungen zwischen politisch, wobei die linken Kräfte von der Regierung deutlich schärfer verfolgt und bestraft wurden. Gleichzeitig hatte Deutschland schwer an den Folgen des Ersten Weltkrieges, besonders durch die Festlegungen des Versailler Vertrages zu tragen. Verbunden damit die 1923 galoppierende Inflation, die viele Familien in die Arbeitslosigkeit und den Unternehmen in den wirtschaftlichen Ruin führte. Nach der Währungsreform konnte sich die Republik langsam stabilisieren. Hier war Gerhard ca. 5 bis 9 Jahre alt.
Am 25. Oktober 1929, dem sogenannten „Schwarzen Freitag“ wird die Welt in eine wirtschaftliche Krise mit weitreichenden Folgen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Folgen gestürzt. Besser als „schwarz“ könnte man auch diesen Tag nicht bezeichnen, da er den deutschen Staat in die schlimmste Katastrohe seiner Geschichte führte.
Den Nationalsozialisten spielte die Weltwirtschaftskrise in die Karten, da im Zuge der Krise die Unzufriedenheit der Bevölkerung zunehmend wuchs, damit in einer Regierungskrise mündete und letztendlich zum Machtwechsel zugunsten der Nationalsozialisten führte.
1939 stürzten die nationalsozialistische Regierung unter der Führung Adolf Hitlers Deutschland in den Zweiten Weltkrieg. Gerhard Oelze feierte kurz zuvor seinen 19. Geburtstag. Ob er als Soldat eingezogen wurde, welche politische Ausrichtung er hatte, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Wir wissen nur, dass er aktiver Radsportler war, und nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der DDR diesen Sport weiterhin nachging.
Da sich die Versorgungslage in der DDR sehr schwierig gestaltete und auch Ersatzteile für Fahrräder nur selten zum Kauf angeboten wurden, überquerte Gerhard Oelze oft gemeinsam mit seinem Freund Gerhard Zöffzig die innerdeutsche Grenze. Außerdem radelten die beiden Sportler auch in den Westen, um ihrem Hobby, dem Radrennsport, nachzugehen und an Rennen teilzunehmen.
So auch am 27. Oktober 1950. Diesmal fuhren sie nur in Richtung Westen, um Ersatzteile für ihre Räder und einigen Lebensmittel zu besorgen. Ein reger Schmuggelverkehr über die grüne Grenze gehörte zur damaligen Zeit zur Normalität. Sowjetische und deutsche Grenzposten ignorierten lange die „illegalen“ Grenzgänger oder sprachen allenfalls geringe Strafen aus. Diese Situation änderte sich jedoch mit der Gründung der DDR. Die, bis dahin geduldeten, Grenzübertritte entwickelten sich zunehmend zu einem Risiko.
Nach erfolgreichen Einkäufen bepackten Gerhard Zöffzig und Gerhard Oelze ihre Rucksäcke, beluden ihre Fahrräder mit Kisten und machten sich auf den Heimweg nach Sachsen-Anhalt in der jungen DDR. Nichts ahnend entwickelte sich der Rückweg für Gerhard Oelze aber zum tödlichen Verhängnis.
Auf der Westseite begegneten die beiden an der deutschen Grenze einer Kontrollstreife. Diese teilte ihnen mit, dass auf ostdeutscher Seite neue, möglicherweise strenger kontrollierende Grenzposten ihren Dienst angetreten haben. Diesen Hinweis im Hinterkopf beachtend, stiegen die jungen Männer von ihren Rädern und schoben sie entlang eines Feldweges in Richtung Beendorf. Dabei beobachteten sie die Umgebung und hielten Ausschau nach Grenzposten.
Trotz der Vorsicht wurden sie gegen 13.30 Uhr von Grenzpolizisten des Kommandos Walbeck überrascht. Der Aufforderung stehenzubleiben, widersetzten sich die beiden Radsportler. Ob dieses Zuwiderhandeln zu ihrem Verhängnis führte, kann heute nicht mehr geklärt werden. Fakt ist, dass die Grenzer mehrere Warnschüsse abgaben. Daraufhin sprangen die beiden Freunde in ihre Sättel und nahmen einen schmalen Feldweges in Richtung Beendorf. Sie erhöhten ihre Geschwindigkeit und versuchten „in wilder Flucht“ den Grenzern zu entkommen. Diese eilten ihnen zu Fuß hinterher und gaben weitere Warnschüsse ab, so der Bericht der Volkspolizei.
Von hinten getroffen, stürzte der 40-jährige Gerhard Oelze vom Rad und blieb bewegungslos liegen. Gerhard Zöffzig fuhr weiter und entkam.
Während einer der beiden Grenzpolizisten sich um den Verletzten kümmerte, holte der andere einen Arzt aus Beendorf herbei. Noch am Unglücksort erlag Gerhard Oelze seinen schweren Verletzungen. Der Arzt, der nach 20 Minuten eintraf, konnte nur noch den Tod feststellen und diagnostizierte als Verblutung an inneren Verletzungen. Die Leiche von Gerhard Oelze wurde nach Beendorf in die Leichenhalle des Friedhofs überstellt. Wiederholt reichte Seine Mutter eine Todesanzeige für ihren Sohn Zeitung ein. Sooft sie diese einreichte, erhielt sie die Anzeige auch zurück. Ursache war das Wort „Grenze“. Es sollte im Text der Anzeige nicht genannt werden.
Am 2. November 1950 fand Gerhard Oelze seine letzte Ruhestätte. Angehörigen und Freunde gaben ihm auf dem Magdeburger Westfriedhof das letzte Geleit. Der Radsportler hinterließ seine Verlobte.
Einer der damals beteiligten Posten konnte in den 1990er Jahren zu dem Vorfall befragt werden. Dabei verwies auf die „Instruktionen für die Grenzpolizeiorgane zum Schutz der Grenze und der Demarkationslinie der SBZ Deutschlands“. Weiterhin gab er zu Protokoll, dass er gemäß der Schusswaffengebrauchsbestimmung handelte.
Nachdem er auf weitere Grenzstreifen auf dem Nachbarabschnitt der Grenze vergeblich wartete, gab er „ohne Visiereinstellung etwa einen Meter vor das Vorderrad des vorausfahrenden“ Gerhard Oelze, aus etwa 450 Metern Entfernung einen gezielten Schuss ab, darauf vertrauend „den Radfahrer […] aus dieser Entfernung nicht mehr tödlich zu treffen“.
Das Landgericht Magdeburg fällte am 25. Januar 1995 das Urteil über den Todesschützen. Es lautete „Freispruch“. Begründet wurde der Freispruch mit dem jungen Alter der Schützen. Der damals 19-jährigen Wachtmeister Josef K. der Volkspolizei, war zu diesem Zeitpunkt erst einige Monate an der innerdeutschen Grenze im Dienst.
Das Alter grundsätzlich rechtfertigte Wirkung der damals gültigen Schusswaffengebrauchsbestimmung nicht. Andererseits sah das Gericht eine objektiv erkennbare Gefahrenlage, weil das Verhalten der beiden Radfahrer sich deutlich, von dem anderer Grenzgänger zur damaligen Zeit, unterschied. Ein weiterer Grund, der bei der Urteilsverkündung berücksichtigt wurde, war die Fluchtrichtung der Männer von West nach Ost. Ihr Verhalten löste bei den Grenzpolizisten die begründete Vermutung aus, „dass ihre Flucht auch anders hätte motiviert sein können. Insoweit stehen der rechtfertigenden Wirkung der Schusswaffengebrauchsbestimmung für diesen konkreten Fall keine durchgreifenden Bedenken entgegen“. Es liege jedoch eine „fahrlässige Tötung im Rahmen der Grenzsicherung“ vor.
Recherche: MP, TP , US
Quellen:
- DGP: Berichte und Meldungen über Schußwaffengebrauch 1949–1953, BArch Freiburg, DVH 27/130291.
- LG Magdeburg: Urteil vom 29.3.1995, 32 Js 39753/93. Staatsanwaltschaft Magdeburg.
- LG Magdeburg: Urteil vom 25.1.1995, 22 Ks 33 Js 39753/93 (5/94). In: Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift. München 1995, S. 380 f.
- Standesamt Magdeburg-Altstadt, Geburtseintrag Nr. 1897/1920, Gerhard Oelze. Standesamt Magdeburg, Auskunft vom 26.10.2016.
- Standesamt Beendorf: Sterbeurkunde Nr. 16/1950, Gerhard Oelze. Verbandsgemeinde Flechtingen, Standesamt, Auskunft vom 22.09.2016.
- Filmer, Werner/Schwan, Heribert: Opfer der Mauer. Die geheimen Protokolle des Todes. München 1991, S. 160.
- Schätzlein, Gerhard: Flucht aus der DDR von 1950 bis 1989. Mellrichstadt 2015, S. 25.
Nicht nur die politische, sondern insbesondere die wirtschaftliche Situation der DDR war sehr problematisch. Weder Wohnraum, welcher der massiven Zerstörung der Innenstädte zum Opfer fiel, noch Güter des täglichen Bedarfs standen zur Verfügung. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln war katastrophal. So versuchten einige Bürger ihre Familie durch das Schmuggeln von Ressourcen aus der BRD in die DDR zu versorgen.
Geboren: am 22. Februar 1903 in
Danzig (heute: Gdańsk,
Polen)
Gestorben: am 31. Mai 1952
verunglückt auf dem Weg
über die Grenze am |
Ort des Vorfalls: Lappwald bei Schwanefeld (Sachsen-Anhalt)
Käthe Arndts Geburtstag ist der 22. Februar 1903. Der Geburtsort ist Danzig (heute: Gdańsk, Polen). Gdańsk gehörte 1903 zum Deutschen Kaiserreich. Über ihre Kindheit und Jugend ist nicht viel zu erfahren. Bekannt ist, dass sie aus einer Arbeiterfamilie stammte.
Aus den Recherchen haben wir folgendes über Käthe Arndt erfahren:
Käthe Arndt ist unter dem Namen Käthe Makowski zur Welt gekommen. Mit 20 Jahren heiratete sie am 25. Oktober 1923 in Gdańsk Walter Karl Arndt. Dem Adressbuch der Stadt Danzig von 1924 ist zu entnehmen, dass sie die Gattin eines „Kunstschlossermeisters“ war. Ihr erstes Kind, eine Tochter brachte sie 1925 auf die Welt. Im Laufe der Jahre erblickten vier weitere Kinder das Licht der Welt. Die Zwischenkriegszeit ist durch Armut geprägt und auch die Familie Arndt lebte in ärmlichen Verhältnissen. So ist 1927 in dem Adressbuch der Stadt Danzig nur noch der Eintrag „Schlosser“ zu finden.
Wohnhaft war die Familie in Gdańsk in der Danziger Hundegasse 63. In diesem Haus, einer sogenannten Mietskaserne lebten zehn Mietparteien. 1934 zog die Familie um. Die neue Wohnung befand sich in der Straße Bischofstal 29. Dieses Haus ist vergleichbar mit dem Haus in der Hundegasse. Hier lebten Familien von Maschinisten, Werftarbeitern, Böttchern, Monteuren und Drehern. Im Danziger Adressbuch sind seit 1938 keine Eintragung mehr zu Käthe Arndts Familie zu finden.
Gleichzeitig, also 1938 wird erstmals im Magdeburger Adressbuch der Name Käthe Arndt verzeichnet.
Dieser Wohnortswechsel ist nicht zufällig, da im Jahr 1936 die Stadt Magdeburg mit dem Arbeitsamt Danzig und dem Reichsarbeitsministerium eine Umsiedlung von langjährigen Arbeitslosen vereinbarte. Hintergrund dieser Vereinbarung ist ein Mangel an Arbeitskräften in den Industriebetrieben der Elbestadt.
Die neue Anschrift lautete: Danziger Dorf 63. Hier wurde auch die jüngste Tochter der Familie 1940 geboren.
Die Stadt Magdeburg verfügte aber nicht über ausreichend Wohnraum. Daher startete die Stadt eine Baumaßnahme für die Neuen Bürger, in dem sie eine umfassende Vorstadtsiedlung mit drei Straßenzügen errichten ließ. Auch die Familie Arndt war Nutznießer dieser Baumaßnahme und zog 1951 in den Wenddorfer Weg Nr. 63.
Über das Leben der Familie in den Jahren des Zweiten Weltkrieg und kurz danach waren keine Berichte zu finden. 1952 taucht der Name wieder auf. Käthe Arndt, jetzt 49 Jahre alt, hatte sich mit Marianne Rogge (47 Jahre), die eine Tochter besaß angefreundet. Aufgrund der katastrophalen Versorgung im kriegszerstörten Magdeburg wollten die beiden Mütter für die Familien möglicher Weise Lebensmittel und Alltagsgüter besorgen. aus dem nahegelegenen Helmstedt. Sie begaben sich 1952 auf den Weg in Richtung Helmstedt. Aus Angst vor Streifen der DDR-Grenzpolizei gingen die beiden Frauen nachts durch den unwegsamen, und kaum besiedelten Lappwald. Als sich die Frauen etwa 350 Meter vor der niedersächsischen Grenze befanden, konnten sie auf Grund der Dunkelheit den, direkt vor sich liegenden, Steilhang nicht wahrnehmen. Am Ende des Stelhangs befand sich ein Wasserloch. Beide Frauen stürzten mehrere Meter tief. Dabei verloren sie das Bewusstsein und ertranken in dem Wasserloch.
Am Abend des 19. Juni 1952 fand eine Streife der Grenzpolizei die ertrunkenen Freundinnen.
Im Rapport wurde festgehallten: „Vermutlich handelt es sich um illegale Grenzgänger“.
Im Sterberegister der Gemeinde Beendorf ist als wahrscheinliches Todesdatum von Käthe Arndt und Marianne Rogge der 31. Mai 1952 notiert.
Walter Arndt, der Ehemann von Käthe verstarb nur ein Jahr später am 17. Juni 1953 in Magdeburg.
Recherche: jk, US
Quellen:
- Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt – Operativstab: Rapport Nr. 151/52 für die Zeit vom 19.6.52, 05 Uhr, bis 20.6.52, 05 Uhr. Halle, 20.6.1952. LASA Mgb., K 14, Nr. 46.
- Hauptabteilung Deutsche Grenzpolizei: Meldung besonderer Vorkommnisse Nr. 145/52 für die Zeit vom 20.6.1952, 06.00 Uhr, bis 21.6.1952, 06.00 Uhr. Berlin, 21.6.1952. BArch Freiburg, DVH 27/130330.
- Stadtarchiv Magdeburg, Abteilung Personenstandswesen: Auskunft vom 16.03.2016. Standesamt Beendorf: Sterbeeintrag Nr. 5 vom 21.06.1952. Verbandsgemeinde Flechtingen, Standesamt.
- Roeder, Heidi: Nationalsozialistischer Wohn- und Siedlungsbau. Dokumentationen der Gutachten des Stadtplanungsamtes. Hrsg. vom Stadtplanungsamt Magdeburg, Heft 43/II, 1995, S. 12–34.
Die Lebenssituation in der DDR verbesserte sich nach und nach. Trotz dessen flohen immer noch viele Menschen in die BRD.
Geboren: am 12. September
1923 in Magdeburg
Gestorben: am 16. April 1958
Ort des Vorfalls: erschossen Nostorf, OT Horst
(Mecklenburg-Vorpommern)
Am 12. September 1923 wird Hermann Schübele in der Altstadt Magdeburg geboren.
Als Jugendlicher erlernte er den Beruf eines Bäckers. Später, (Ein genauer Zeitpunkt ist nicht bekannt.) verlegte er seinen Aufenthaltsort Hamburg. Hier hat er wahrscheinlich das Leben eines Einzelgängers geführt.
Zu seiner Person sind leider keine weiteren Angaben zur Familie, Familienstand, Schulabschluss, etc. auffindbar gewesen. Erst seit beginn des Fluchtversuchs gibt es konkrete Aufzeichnungen. Von dort kommend verfolgte er das Ziel am 13. April 1958 die Grenze zur DDR zu überqueren.
Grenzalarm am 13. April 1958.
Ein Lokführer eines aus der Bundesrepublik kommenden Güterzuges meldete am 13. April 1958, dass sich Grenzübergang Schwanheide in einem Waggon eine Zivilperson befinde.
Daraufhin kontrollierten zwei Mitarbeiter des DDR-Zolls, den Waggon. Als sie die Tür öffnen wollten, erblickten sie einen Mann, der aus dem Zug sprang und flüchtete.
Der sofort ausgelöste Alarm sorgte für die Abriegelung der Grenze. Zusätzlich wurden auch Fährtenhunde eingesetzt. Die flüchtige Person konnte trotzdem nicht aufgegriffen werden. Daher wurde durch die Grenzpolizei eine Fahndung für den Flüchtigen herausgegeben. Zusätzlich versetzte man die Abschnittbevollmächtigten der Volkspolizei in den umliegenden Ortschaften in Bereitschaft.
Der geflüchtete Mann, Hermann Schübele, versteckte sich 3 Tage im Grenzgebiet des Dreiländerecks Schleswig-Holstein/Niedersachsen/ Mecklenburg-Vorpommern. Wechselhaftes Wetter prägt die drei Tage seiner Flucht. Nachts herrschte noch Bodenfrost, was die Übernachtung erschwerte. Trotz größter Vorsicht entdeckte ihn am 16. April 1958 eine Streife der Grenzpolizei den 34-Jährigen Schübele um 8.20 Uhr im Bereich des Kommandos Vierkrug.
Erschrocken sprang er mit den Worten „Jetzt habt ihr Schweine mich doch“ in etwa fünf Meter Entfernung aus dem Unterholz einer Kiefernschonung auf und flüchtete durch die Baumreihen vor dem Grenzpolizisten Fritz S. Dieser rief dem Flüchtenden nach, er solle stehenbleiben, zusätzlich gab er Warnschüsse in die Luft ab.
Als der flüchtende Hermann Schübele schon 20 bis 30 Meter Abstand gewonnen hatte, zielte der Grenzpolizist Fritz S mit seiner Maschinenpistole in die Kiefernschonung.
Drei Kugeln trafen Hermann Schübele in den Rücken und den Unterleib. Die Verletzungen waren so schwer, dass er sofort zusammenbrach. Wenige Minuten später verstarb Schübele an seinen Verletzungen. Nachdem Fritz S. über das Grenzmeldenetz seine Vorgesetzten von dem Zwischenfall unterrichtete, trafen ca. fünf Minuten später ein Offizier und weitere Grenzpolizeiangehörige ein.
Der Tote wurde abtransportiert. Schübele führte eine Aktentasche mit einer Bibel, mehreren kirchlichen Büchern mit Notizen. Diese übergab man der Kreisdienststelle des MfS zur Auswertung.
In der BRD vermisste den Toten niemand, zumindest gingen bei der Polizei keine Vermisstenmeldungen ein.
Fritz S. erhielt nach diesem Einsatz eine Belohnung und schied bald darauf aus dem Grenzdienst aus.
Bis in das Jahr 1997 gelang es dem Landgericht Schwerin nicht, die Gründe für Hermann Schübeles Grenzübertritt im April 1958 aufzuklären. Das Gericht war der Überzeugung, er habe als Spion im Auftrag eines westlichen Geheimdienstes gehandelt. Gleichzeitig wurde auch über den Todesschützen Fritz S. verhandelt. Dieser wurde am 20. November 1997 vom Vorwurf des Totschlags vor dem Landgericht Schwerin freigesprochen. Die faktische Rechtswidrigkeit der 1958 geltenden Befehlslage sei für den Angeklagten nicht offensichtlich gewesen.
Recherche: jk, MP, St.A
Quellen:
- Ministerium des Innern/Kommando der Deutschen Grenzpolizei: Meldung Nr. 86/58 für die Zeit vom 13.4., 18.00 Uhr bis 14.4.1958, 18.00 Uhr. O.U., 15.4.1958. BArch Freiburg, DVH 27/130384.
- Ministerium des Innern/Kommando der Deutschen Grenzpolizei: Meldung Nr. 88/58 für die Zeit vom 15.4.1958, 18.00 Uhr bis 16.4.1958, 18.00 Uhr. O.U., 17.4.1958. BArch Freiburg, DVH
- 27/130384.
- Staatsanwaltschaft Schwerin: Ermittlungs- und Verfahrensunterlagen wg. Totschlags, z. N. Schübele, Hermann, 191 Js 26776/94. LHASn, Staatsanwaltschaft Schwerin, 8.33–6/2, 3704.
- Mitteilung des Stadtarchivs Magdeburg, Abt. Personenstandswesen vom 19.01.2016.
Durch die herausragende kostenlose Bildung und Studienmöglichkeit innerhalb der DDR verfügte der sozialistische Staat über gut ausgebildete Fachkräfte. Eine daraus resultierende Abwanderung in die BRD musste unterbunden werden, da die für den Staat kostspielige Ausbildung somit keinen Nutzen für die DDR brachte. Die politische Konsequenz dieser Entwicklung war der Bau der Berliner Mauer und der Grenzanlagen an der innerdeutschen Grenze. Damit sollte die Flucht oder das Abwandern der Bevölkerung aus der DDR verhindert werden.
- Geboren am 28. Juni 1938 in Wolmirstedt,
Ortsteil Glindenberg - Tod in der Elbe vermutlich am 20. März 1962
- Ort des Vorfalls: Elbe bei Lütkenwisch (Brandenburg)
Klaus Kühne wurde am 28. Juni 1938 in Wolmirstedt/ OT Glindenberg geboren. Sein Vater übte die Tätigkeit eines Schlossers aus, die Mutter hatte eine Anstellung in det Landwirtschaft. Als Klaus Kühne zwei Jahre alt war, wurde sein Bruder geboren.
1952 beendete er die Volksschule. Im Anschluss zog die Familie ins nahe gelegene Magdeburg in die Karl-Marx-Straße 227.
Seine Mutter engagierte sich jetzt in Magdeburg für den Wiederaufbau und arbeitete im Rat des Bezirkes in der Kaderabteilung und Sohn Klaus konnte mit 14 Jahren eine Ausbildung als Elektromonteur im VEB Starkstrom-Anlagenbau Magdeburg beginnen. Nach Abschluss der Lehrer übernahm ihn sein Lehrbetrie.
In seiner Meldekartei wurden außerdem auch Aufenthalte in Dessau und Coswig registriert.
Im August des 1960 begann er ein Studium an der Ingenieurschule für Schwermaschinenbau in Magdeburg mit der Fachrichtung Elektrotechnik.
Klaus Kühne interessierte sich für viele Sachen, er spielte Gitarre, fotografierte und lernte autodidaktisch Englisch. Eine große Leidenschaft war das Sporttauchen. Trainieren konnte er diese besondere Sportart in der Tauchabteilung der Gesellschaft für Sport und Technik (GST). Hier traf er auch auf Hans-Peter Mielau. Die beiden jungen Männer wurden Freunde und nannten sich bald „Gerry“ und „Robby“.
Da die Versorgung in der DDR unzureichend war, reiste der junge Mann öfter nach West-Berlin. Hier betätigte er seine Besorgungen. Vermutlich gefiel ihm auch die Atmosphäre der offenen Stadt. Er sehnte sich danach, in Gewässern zu tauchen, die fern vom Barleber See oder dem Stechlinsee lagen. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 und dem Errichten einer fluchtsicheren Grenze, waren ihm Möglichkeiten in der Welt zu reisen und zu tauchen verschlossen. Über diese Entwicklung in der DDR war er sehr enttäuscht
Gemeinsam mit Hans-Peter Mielau, der an seiner Hochschule in Konflikte geraten war, verabredete er, die DDR heimlich zu verlassen. Das Sporttauchen schien ihnen dafür einen Weg zu öffnen. Ihr Plan war es, nördlich von Wittenberge die Elbe stromabwärts zu tauchen, um das niedersächsische Ufer zu erreichen. Gemeinsam trainierten sie in der Elbe bei Glindenberg, wo die Großeltern Klaus Kühnes lebten. Der Fluss war so verschmutzt, dass man unter Wasser kaum etwas sehen konnte. Nach einigen Zweifeln drängte Kühne am 13. März 1962 in einem Eilbrief an „Robby“: „Verdammt, schon Mitte März und noch immer nichts unternommen, hätten die Sache längst erledigen können.“
Für Klaus Kühnes Mutter kam es völlig unerwartet, dass ihr Sohn am Abend des 19. März 1962 ausblieb. Von seinen Fluchtplänen wusste sie nichts. Es war ein Montag, ihr Sohn hätte in der Ingenieurschule sein müssen. Doch als sie sich dort erkundigte, teilte man ihr mit, dass er nicht zum Unterricht erschienen war. Ihr nächster Weg führte sie zur Polizei, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Die Tagesmeldung der Bezirksbehörde der Volkspolizei vom 22. März 1962 vermutet bereits eine Flucht in den Westen: „Da K. in der Schule eine Auseinandersetzung hatte und stark kritisiert wurde, besteht der Verdacht, daß er die DDR mit seiner Taucherausrüstung auf dem Wasserwege illegal verlassen hat. Welche Wasserstraße benutzt wurde[,] ist noch nicht bekannt.“ Zu dieser Zeit suchten bereits DDR-Grenzboote mit an Stangen befestigten Trossen den Elbgrund nach einer Leiche ab. Der Tagesrapport der Grenztruppen vom 20. März 1962 enthält die Meldung, gegen 3.30 Uhr habe die Besatzung eines am linken Elbufer direkt an der Grenze zu Niedersachsen eingesetzten Sicherungsbootes beobachtet, wie eine männliche Person vom Ufer aus ins Wasser sprang. Nach der Abgabe von Warn- und Zielschüssen sei diese nicht wieder aufgetaucht. Der „Abschlußbericht“ vom 9. April 1962 beschreibt ausführlicher, dass der Mann vom Ufer sofort ins Wasser sprang, als er mit einem Scheinwerfer vom Boot aus angeleuchtet wurde. „Nach der Flucht der Person in das Wasser legte unser Boot ebenfalls von Land ab. Ca. 20 m vom Ufer entfernt tauchte die Person nach ca. 1. Minute auf. Hierauf wurden unverzüglich 6 Schuß aus der MPi abgefeuert. Entfernung von der Person 30 Meter. Beim zweiten Mal auftauchen, wurde wiederum die Schußwaffe auf eine Entfernung von 50 m angewandt. Beim dritten Mal des Auftauchens wurde durch den Bootsführer aus der Pistole ein Schuß abgefeuert. Hierbei wurde die Person vermutlich getötet.“
Der Bootsführer Hans-Jürgen T. wurde 1995 von den Ermittlern der ZERV vernommen. Hierbei erklärte er, dass der Schusswaffengebrauch zu seiner Dienstpflicht gehört und er keine Möglichkeit gesehen habe, den Taucher im Wasser auf andere Weise aufzuhalten. Da er den Abstand zwischen dem Flüchtling und den Einschlagsstellen der Kugeln auf der Wasseroberfläche gesehen habe, schloss er jedoch aus, dass sein Kamerad oder er selbst ihn getroffen hätte. Am nächsten Morgen fand eine Grenzstreife gut 600 Meter vom Ort des Zwischenfalls entfernt Teile einer Taucherausrüstung am Ufer. Es handelte sich um Schwimmflossen, Taucherbrille, einen Tauchergürtel mit Gewichten und eine Tube Gummilösung. Die weitere Suche ergab, dass der Flüchtling zwischen Cumlosen und Müggendorf ins Wasser gestiegen sein musste. Dort, am östlichen Ufer der Elbe, fand man einen Rucksack mit Bekleidungsstücken und weiteren Ausrüstungsgegenständen.
Dass an diesem Abend zwei Taucher versucht hatten, nach Niedersachsen zu gelangen, wurde den Grenztruppen erst am 22. März bekannt. Die Besatzung des Sicherungsbootes hatte nur eine Person bemerkt. Wahrscheinlich zog, nachdem Hans-Peter Mielau nicht zum Seminar in der Universität erschienen war, der Staatssicherheitsdienst eine Verbindung zwischen den beiden Vermisstenfällen aus Magdeburg. MfS-Mitarbeiter unterrichteten die Eltern von Klaus Kühne und Hans-Peter Mielau, dass nur einer der beiden jungen Männer das westliche Ufer erreicht haben könne, da der andere durch Schusswaffengebrauch schwer verletzt worden sei. Die Zeit des bangen Wartens endete mit dem Fund der Leiche von Hans-Peter Mielau am 26. Mai 1962 nördlich von Schnackenburg. Die Obduktion des mit einem vollständigen Taucheranzug bekleideten Toten ergab keine Spuren von Schussverletzungen. Mielau war höchstwahrscheinlich ertrunken. Da der Flüchtling, auf den geschossen worden war, bereits Teile seiner Ausrüstung abgelegt hatte, muss es sich bei ihm um Klaus Kühne gehandelt haben. Wie ihre Flucht in der Nacht vom 19. auf den 20. März genau verlief und warum sich die beiden Freunde voneinander trennten, lässt sich aus den vorliegenden Überlieferungen nicht mehr rekonstruieren. Möglicherweise zwangen technische Schwierigkeiten Klaus Kühne ans linksseitige Ufer, vielleicht glaubte er, bereits das westdeutsche Ufer erreicht zu haben und legte deshalb Taucherflossen und Brille zu früh ab. Klaus Kühnes Schicksal bleibt aber vor allem deswegen unklar, weil man seine Leiche nie gefunden hat. Auch als die Ermittler in den 1990er Jahren Obduktionsprotokolle von geborgenen Wasserleichen überprüften, konnten sie keinen Zusammenhang mit dem Verschwinden von Klaus Kühne feststellen.
Da keine MfS-Unterlagen zu Kühnes Fall überliefert sind, fehlen die Aufzeichnungen des damaligen DDR-Ermittlungsorgans. Irritierend ist eine Tagesmeldung der Volkspolizei vom 13. April 1962. Darin heißt es, dass bei der Leiche des durch Schüsse tödlich verletzten Kühne ein Brief Hans-Peter Mielaus gefunden worden sei, aus dem hervorgehe, dass beide gemeinsam die Elbe durchschwimmen wollten. Dies ist die einzige Meldung, in der von einer Leiche Klaus Kühnes die Rede ist. Da darin aber weder der Ort noch das Datum ihres Auffindens Erwähnung finden, ist ihr Aussagewert gering – vielleicht basiert sie auf einem Missverständnis. Im April legte ein Beauftragter der NVA den Eltern von Klaus Kühne und Hans-Peter Mielau die aufgefundenen Teile der Taucherausrüstung vor. Wie sich herausstellte, gehörte die Taucherbrille Hans-Peter Mielau. Doch weder die Flossen noch den Tauchergürtel oder die Gummilösung konnten die Eltern einem der beiden Freunde zuordnen.
Der Rat des Bezirkes kündigte das Arbeitsverhältnis mit Frau Kühne zum 31. März 1962. Sie fand im VEB Baukombinat der Stadt Magdeburg eine neue Arbeitsstelle als Sachbearbeiterin für Erwachsenenqualifizierung. Hatte sich die Familie zunächst mit den Auskünften der DDR-Behörden abzufinden, so unternahm sie nach dem Ende der DDR mehrere Versuche, Gewissheit über das Schicksal Klaus Kühnes zu erlangen. Als alle Nachforschungen ergebnislos blieben, legte das Amtsgericht Magdeburg im Jahr 1999 das Todesdatum von Klaus Kühne auf den 20. März 1962 fest.
An der Mauer und an der innerdeutschen Grenze durch Selbstschussanlagen oder Tretminen zu sterben, war keine Seltenheit. Die Zahl der Opfer ist kaum zu glauben.
bald mehr Informationen…
Mit der Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler begann ein politischer „Wandel durch Annäherung“. So besuchte Willy Brandt als erster Bundeskanzler die UdSSR und Polen und bekannte sich 1970 mit seinem legendären Kniefall zu den Verbrechen des Nationalsozialismus. Trotz der beginnenden Annäherung versuchten viele DDR-Bürger ihrer derzeitigen Lebenssituation zu entrinnen, wobei sich mancher an ausgeklügelten Ideen bediente.
Geboren: am 2. Dezember 1952 in Burg
bei Magdeburg
Gestorben: am 28. Oktober 1970 |
Ort des Vorfalls: nahe Etingen (Sachsen-Anhalt),
tödlicher Unfall bei einem
Fluchtversuch
Der 17-jährige Jugendliche kam durch einen Unfall auf der Bahnstrecke zwischen Haldensleben und Oebisfelde ums Leben. Er hatte gemeinsam mit zwei Freunden versucht, den Kontrollen der Transportpolizei und des Bahnpersonals zu entgehen, indem er sich auf dem Dach eines Doppelstockzuges versteckte.
Eine Bahnfahrt von Magdeburg ins 64 Kilometer entfernt liegende Oebisfelde dauerte in den 1970er Jahren eineinhalb Stunden – für Menschen mit Fluchtabsicht waren dies 90 Minuten der Angst und Sorge, liefen sie doch Gefahr, bereits im Zug überführt und festgenommen zu werden. Der Bahnhof Oebisfelde war ein Grenzbahnhof, er lag im Sperrgebiet, weshalb Reisende einen Berechtigungsschein mit sich zu führen hatten. Um den Kontrollen im Zug zu entgehen, hatten drei Jugendliche am 27. Oktober 1970 einen Plan gefasst, der zwei von ihnen das Leben kosten sollte.
Burkhard Fischbock war 17 Jahre alt und Transportarbeiter, der 19-jährige Joachim Zepernick arbeitete als Kranfahrer und war Kandidat der SED. Gemeinsam mit fünf weiteren Jugendlichen hatten sie in der Magdeburger Gaststätte „Zum Neustädter Bahnhof“ gefeiert und reichlich Alkohol getrunken. Als sie gegen 23 Uhr das Lokal verließen, mögen sie schon den nahenden Winter gespürt haben, die Temperaturen näherten sich dem Gefrierpunkt. Gleich gegenüber im Bahnhof Magdeburg Neustadt bestiegen Burkhard Fischbock, Joachim Zepernick und ihr 17-jähriger Freund H. einen Doppelstockzug nach Oebisfelde. Als der Zug Haldensleben passiert hatte, öffneten sie eines der Fenster im oberen Abteil und schwangen sich auf das Zugdach. Dort würde sie die Transportpolizei und das Bahnpersonal nicht kontrollieren, hofften sie. Als H. versuchte, die Lücke zwischen zwei Waggons zu überspringen, stürzte er und konnte sich auf einem Puffer abfangen. Er hangelte sich zurück ins Abteil. Das rettete ihm das Leben. Seine beiden Freunde prallten wenig später auf dem Dach des Zuges gegen einen Brückenbogen.
Ein Weichenwärter entdeckte Burkhard Fischbock bei der Einfahrt in Oebisfelde mit eingeschlagenem Schädel auf dem Dach des dritten Waggons. Sofort wurde der Zug kontrolliert und H. festgenommen. Bei der Vernehmung erklärte er der Polizei, dass sie nach dem Gaststättenbesuch spontan die Flucht zu dritt versucht hatten, doch er wusste noch nicht, was seinen Freunden geschehen war. Auf der Suche nach Joachim Zepernick fand man am nächsten Vormittag nahe Etingen seine Leiche am Gleiskörper. Bei ihm wurde eine Schädelbasisfraktur als Todesursache festgestellt. Wahrscheinlich geschah das Unglück in einer Unterführung der Bundesstraße 188, etwa zehn Kilometer bevor der Zug sein Ziel erreichte. Das Motiv ihres Fluchtversuchs und das weitere Schicksal von H., der unter der Beschuldigung, „einen Angriff auf die Staatsgrenze“ unternommen zu haben, inhaftiert wurde, sind unbekannt.
Geboren: am 30. August 1951 in
Magdeburg
Gestorben: am 28. Oktober 1970
Ort des Vorfalls: nahe Etingen (Sachsen- Anhalt)
tödlicher Unfall bei einem
Fluchtversuch
Der 19-jährige Jugendliche kam durch einen Unfall auf der Bahnstrecke zwischen Haldensleben und Oebisfelde ums Leben. Er hatte gemeinsam mit zwei Freunden versucht, den Kontrollen der Transportpolizei und des Bahnpersonals zu entgehen, indem er sich auf dem Dach eines Doppelstockzuges versteckte.
Eine Bahnfahrt von Magdeburg ins 64 Kilometer entfernt liegende Oebisfelde dauerte in den 1970er Jahren eineinhalb Stunden – für Menschen mit Fluchtabsicht waren dies 90 Minuten der Angst und Sorge, liefen sie doch Gefahr, bereits im Zug überführt und festgenommen zu werden. Der Bahnhof Oebisfelde war ein Grenzbahnhof, er lag im Sperrgebiet. Reisende mussten einen Berechtigungsschein vorweisen können. Um den Kontrollen im Zug zu entgehen, hatten drei Jugendliche am 27. Oktober 1970 einen Plan gefasst, der zwei von ihnen das Leben kosten sollte.
Joachim Zepernick war 19 Jahre alt, Kandidat der SED und arbeitete als Kranfahrer, der 17-jährige Burghard Fischbock war Transportarbeiter. Gemeinsam mit fünf weiteren Jugendlichen hatten sie in Magdeburg in der Gaststätte „Zum Neustädter Bahnhof“ gefeiert. Als sie gegen 23 Uhr das Lokal stark alkoholisiert verließen, mögen sie schon den nahenden Winter gespürt haben, die Temperaturen näherten sich dem Gefrierpunkt. Gleich gegenüber im Bahnhof Magdeburg Neustadt bestiegen sie gemeinsam mit dem 17-jährigen H. einen Doppelstockzug nach Oebisfelde. Nachdem der Zug Haldensleben passiert hatte, kurbelten sie eines der Fenster im oberen Raum herunter und schwangen sich auf das Zugdach – auf diese Weise wollten sie von der Transportpolizei und dem Bahnpersonal unbemerkt bleiben. H. versuchte, die Lücke zwischen zwei Waggons zu überspringen, dabei stürzte er und konnte sich auf einem Puffer abfangen. Er hangelte sich zurück ins Abteil. Das rettet ihm das Leben. Seine beiden Freunde wurden wenig später auf dem Dach des Zuges von einem Brückenbogen erfasst.
Ein Weichenwärter entdeckte bei der Einfahrt des Zuges in Oebisfelde zunächst die Leiche von Burghard Fischbock auf dem Dach des dritten Waggons. Auf der Suche nach Joachim Zepernick fand man seine Leiche am nächsten Vormittag am Gleiskörper nahe Etingen. Bei ihm wurde eine Schädelbasisfraktur als Todesursache festgestellt. Wahrscheinlich geschah das Unglück unter einer Überführung der Bundesstraße 188, etwa zehn Kilometer bevor der Zug sein Ziel erreichte. Das Motiv des Fluchtversuchs blieb unbekannt.
Siehe auch die Biografie von Burkhard Fischbock.
Recherche:
jk, US
Quellen:
- Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei: Halbjahresanalyse über vorbereitete, versuchte und vollendete ungesetzliche Grenzübertritte. Magdeburg, 12.1.1971. LASA, MD, M24, Nr. 1198.
- Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei: Rapporte der BDVP Magdeburg für die Monate September bis Oktober 1970. LASA, MD, M 24, Nr. 807.
- Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei: Einschätzung der polizeilichen Lage im Kreis Klötze 1970–1972. LASA, MD, M 24, Nr. 672.
- Kreisgericht Magdeburg: K Strafnachricht (A) vom 14.6.1968. BStU, ZA, MfS, A 5791.
- MfS, BV Magdeburg, Abt. IX: Karteikarte zu Joachim Zepernick, Burghardt Fischbock und Dietmar H. BStU, Ast. Mgdb., MfS, BV Magdeburg, Abt. IX, Nr. 1307.
- Standesamt Rätzlingen: Sterbeeintrag Joachim Zepernick, Auskunft vom 4.10.2016.
Recherche: jk, US
Quellen:
- BDVP Magdeburg: Halbjahresanalyse uber vorbereitete, versuchte und vollendete ungesetzliche Grenzubertritte. Magdeburg, 12.1.1971. LASA, MD, M24, Nr. 1198.
- BDVP Magdeburg: Rapporte September – Oktober 1970. LASA, MD, M 24, Nr. 807 u. Nr. 672.
- BDVP Magdeburg: Einschatzung der polizeilichen Lage im Kreis Klotze 1970–1972. LASA, MD, M 24, Nr. 672.
- Karteikarte zu Joachim Zepernick, Burkhard Fischbock und Dietmar H. BStU, Ast. Mgdb., MfS, BV Magdeburg, Abt. IX, Nr. 1307.
- Standesamt Stadt-Burg: Geburtseintrag Burkhard Fischbock, Auskunft vom 09.12.2016
1972 wurde der Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der BRD unterzeichnet und beide Staaten 1973 in die UNO aufgenommen. Durch diesen Vertrag verbesserten sich zum einen Handelsbeziehungen zwischen beiden Staaten und Reiseerleichterungen wurden ermöglicht. Parallel dazu entwickelte sich in der DDR eine innere Opposition, welche im Hintergrund die Wiedervereinigung anstrebte.
Geboren: am 21. Februar 1958 in Magdeburg
Gestorben: 16. Februar 1977
Ort des Geschehens: nahe der Berliner Allee
am Außenring zwischen
Schönwalde (Kreis Nauen) und
Berlin-Spandau,
Todesursache: erschossen
Von Schönwalde aus überquert er den Niederneuendorfer Kanal. Hinter der Brücke durchkriecht er in den frühen Morgenstunden des 16. Februar ein Feld bis zu den Grenzanlagen. Lange sondiert er das Gelände mit einem Feldstecher. Schließlich überwindet er kurz nach 7.00 Uhr den Hinterlandzaun, eine Hundelaufanlage und einen Signalzaun, wobei er Alarm auslöst. Als er auf die noch 30 Meter entfernte Sperrmauer zurennt, wird der 18-Jährige von zwei Wachtürmen aus unter Beschuss genommen.Dietmar Schwietzer, geboren am 21. Februar 1958 in Magdeburg, wächst zusammen mit seiner Schwester bei den Eltern auf. Schon als Schüler bastelt er gern an Rundfunkempfängern, repariert Geräte von Freunden und Nachbarn und konstruiert sich eine eigene Funkstation, mit der er den Amateurfunk weltweit empfangen, wenn auch nicht selbst senden kann. In der Schule verhält er sich unauffällig, ist ein guter Pionier und FDJ-ler und nutzt die Funksportsparte der vormilitärischen „Gesellschaft für Sport und Technik“ für seine Zwecke: Hier kann er auch senden. Er absolviert die zehnte Klasse und danach eine Ausbildung zum Nachrichtenfacharbeiter in der Magdeburger Bezirksdirektion der Deutschen Post. Dietmar Schwietzer hat wohl einige Freunde, interessiert sich aber auch als Lehrling weniger für den altersüblichen Diskobesuch als für sein Funkgerät. Das weltweite Funkernetzwerk ist seine geheime Welt; weder die Eltern noch die Lehrer oder seine Ausbilder haben Einblick in seine Kontakte.
Dietmar Schwietzer, erschossen an der Berliner Mauer: Als Schüler mit Akkordeon (Aufnahmedatum unbekannt)Weil er von außen betrachtet so angepasst wirkt und die Stasi sich für ihn als Nachrichtentechniker interessiert, wird er für das MfS-Wachregiment „Felix Dzierzynski“ gemustert; am 1. April 1977 soll er einrücken, als Funker. In einer Feierstunde erhält Dietmar Schwietzer am 15. Februar dieses Jahres seinen Facharbeiterbrief, zeigt ihn stolz seinem Vater und verabschiedet sich zur Feier im Magdeburger Hotel „International“. Dort kreuzt er allerdings nur kurz auf; schon nach einem Glas Cola verabschiedet er sich wieder. Niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, was der junge Mann für diesen Tag seines Lehrabschlusses geplant hat. Noch dreißig Jahre später rätseln die Eltern, ob er nach dem plötzlichen Tod seiner Freundin Anfang des Jahres 1977 alles hinter sich lassen wollte oder ob er sich der Anwerbung der Stasi zu entziehen suchte.
Gescheiterte Fluchtversuche führten oft zu starken Depressionen und starker Verzweiflung. Der letzte Ausweg wurde meist im Suizid gesehen. Ein Beispiel ist Nadine Klinkerfuß.
Geboren: am 22. Januar 1951 in Ticheville
(Frankreich)
Gestorben: am 17. März 1979
Ort des Geschehens: Magdeburg,
Todesursache: Suizid
Gemeinsam mit ihrem Mann und ihren drei Kindern versuchte Nadine Klinkerfuß im August 1978 über die tschechoslowakische Grenze nach Österreich zu flüchten. Das Vorhaben scheiterte im Grenzgebiet. Hans-Joachim Klinkerfuß erhielt in der DDR eine Haftstrafe, seine schwangere Frau Nadine blieb zunächst auf freiem Fuß. Als der Staatssicherheitsdienst ihr ebenfalls eine Haftstrafe und die Wegnahme der Kinder androhte, nahm sie sich das Leben.
Der Vater von Nadine Klinkerfuß, Helmut Müllerke, geboren 1920 in Magdeburg, hatte in der Nachkriegszeit Nadines französische Mutter Yolande kennengelernt und geheiratet. Nadine Klinkerfuß kam 1957 in Ticheville (Normandie) in die Grundschule und besuchte nach einem Umzug der Familie nach Le Sap (Normandie) dort bis zur 5. Klasse eine katholische Schule. Das Ehepaar Müllerke zog 1962 aus Frankreich mit acht Kindern in Helmut Müllerkes Heimatstadt Magdeburg. Dort besuchte Nadine Müllerke bis zur 8. Klasse die Maxim-Gorki-Oberschule.
Den in Frankreich geborenen Kindern der Familie Müllerke fiel es nicht leicht, sich in der DDR einzuleben. Zwischen 1963 und 1965 flüchteten drei von ihnen wieder aus der DDR. Nadine Müllerke tat sich in der Schule und mit der deutschen Sprache schwer. Nach dem Schulabschluss arbeitete sie eine Zeitlang in einer Magdeburger Zuckerraffinerie, anschließend als Reinigungskraft bei der Post, danach als Stationsgehilfin in der Landesfrauenklinik Magdeburg und zuletzt als Druckhelferin in einem Papierverarbeitungswerk. Nadine Müllerke heiratete 1969 den Installateur Achim Klinkerfuß. Im August des gleichen Jahres kam die erste Tochter des jungen Ehepaares, Jaqueline, zur Welt. Im Juli 1971 wurde deren Schwester Karin und im Februar 1977 der Sohn Helmut geboren.
Der Vater von Nadine Klinkerfuß durfte 1973 als Frührentner nach Frankreich reisen. Er kehrte nicht wieder in die DDR zurück. Kurze Zeit später verschlimmerte sich seine Herzerkrankung und auch seine Frau Yolande durfte ausreisen, um ihn in Frankreich zu pflegen. Auch sie kehrte nicht wieder in die DDR zurück. Nadine Klinkerfuß und ihr Mann standen fortan unter der Beobachtung des DDR-Staatssicherheitsdienstes. Als eine Schwester von Nadine Klinkerfuß unter Berufung auf ihren französischen Pass einen Ausreiseantrag aus der DDR stellte, verfügte das Ministerium des Innern am 22. Januar 1974, dass „die Mitglieder der Familie Müllerke, die auf dem Territorium der DDR leben, Staatsbürger der DDR sind“.
Nadine Klinkerfuß stellte 1975 einen Antrag auf eine zeitweilige Ausreise, um ihren kranken Vater in Frankreich besuchen zu können. Zu diesem Zeitpunkt stand für sie und ihren Mann eine dauerhafte Ausreise aus der DDR noch nicht zur Debatte. Zwischenzeitlich wandte sie sich an die französische Botschaft und bat um die Reaktivierung ihres französischen Passes und Unterstützung ihres Besuchswunsches zu den Eltern. Im Frühjahr 1978 erkrankte Helmut Müllerke erneut schwer, woraufhin sie unter Beifügung eines ihrem Vater ausgestellten ärztlichen Attestes einen weiteren Antrag zur besuchsweisen Ausreise stellte. Doch auch dieser wurde abgelehnt. Daraufhin entschlossen sich Achim und Nadine Klinkerfuß im Frühjahr 1978 zur Flucht über die tschechoslowakische Grenze nach Österreich. Sie nahmen an, dass diese nicht so stark wie die innerdeutsche Grenze überwacht würde. Am 7. August 1978 tauschten sie Geld um, packten die nötigsten Sachen, vor allem persönliche Unterlagen und wichtige Dokumente ein und machten sich mit ihren drei Kindern auf den Weg in Richtung Oberwiesenthal. An dieser Grenzübergangsstelle konnte die Familie pass- und visafrei mit dem Auto in die Tschechoslowakei reisen. Kurz darauf fiel ihr Fahrzeug aus, so dass sie ihren Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln über Karlovy Vary, Plzeň, České Budějovice nach Nové Hrady fortsetzten. In den Zwischenstationen kamen sie in Privatunterkünften oder Hotels unter. Unterwegs kauften sie eine Landkarte und einen Kompass, um sich im Grenzgebiet orientieren zu können. Da die Kinder müde waren und es dunkel wurde, verbrachten sie die Nacht vom 10. zum 11. August 1978 in einem Waldgebiet in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenze zu Österreich. Schon in den frühen Morgenstunden, bevor sie ihren Weg fortsetzen konnten, entdeckten ČSSR-Grenzer die Familie bei Nové Hrady. Nach zehntägiger Untersuchungshaft überstellten die Sicherheitsorgane der ČSSR Achim Klinkerfuß dem DDR-Staatssicherheitsdienst, der ihn in die Untersuchungshaftanstalt nach Magdeburg-Neustadt einlieferte. Das Kreisgericht Magdeburg verurteilte ihn am 7. November zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Da Nadine Klinkerfuß zum Zeitpunkt ihrer Festnahme im sechsten Monat schwanger war, leitete die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen sie zunächst ohne Haft ein. Ihr viertes Kind kam im November 1978 zur Welt. Sie gab ihm ihren Namen Nadine. Achim Klinkerfuß konnte seine Tochter nicht in die Arme schließen, er befand sich zum Strafvollzug im Zuchthaus Cottbus, dem sogenannten „Roten Elend“.
Nadine Klinkerfuß musste nun mit ihren vier Kindern alleine zurechtkommen. Sie verkaufte das von ihrem Mann überwiegend in Eigenarbeit gebaute Haus und zog mit den Kindern in eine Magdeburger Wohnung. Das MfS lud sie mehrfach zu Vernehmungen vor und durchsuchte ihre Wohnung. Ihrem inhaftierten Mann schrieb sie lange ermutigende Briefe in die Haft und besuchte ihn so oft es gestattet war. Zweimal schrieb sie auch an den Staatsratsvorsitzenden und SED-Chef Erich Honecker und verlangte darin die Übersiedlung ihrer Familie nach Frankreich. Am 17. Januar 1979 ging per Einschreiben im SED-Zentralkomitee ein drittes Schreiben von Nadine Klinkerfuß an Erich Honecker ein. Diesen Brief an den SED-Chef muss sie in äußerster Erregung geschrieben haben. Sie beschwerte sich darin über die Zustände in der Haftanstalt Cottbus, beklagte, dass Ihr Mann und andere politische Gefangene „für den Scheißstaat“ arbeiten müssten und nur „Kohlsuppe und Sülze“ erhielten. Sogar die Kleinigkeiten, die sie ihrem Mann bei den Besuchsterminen zum Essen mitbrachte, durfte er nicht entgegennehmen. Weiter hieß es in dem Brief, „lasst uns da leben, wo wir hingehören, festhalten könnt Ihr uns nicht.“ Schließlich drohte Nadine Klinkerfuß damit, das westliche Ausland um Hilfe zu bitten. Auf dem Kopf dieses Briefes befindet sich der handschriftliche Vermerk: „am 31.1.79 an MfS“. Zwei Wochen später erhielt Nadine Klinkerfuß Besuch von einem MfS-Mann, der sie aufforderte, keine weiteren Briefe an Erich Honecker zu schreiben und jegliche Verbindung in das westliche Ausland abzubrechen. Sollte sie dem nicht Folge leisten, werde sich das strafverschärfend in dem in Kürze gegen sie stattfindenden Gerichtsverfahren auswirken. Sie müsse außerdem mit einer Einweisung ihrer Kinder in ein staatliches Heim rechnen.
Am 17. März 1979, eine Woche vor dem bereits terminierten Beginn ihres Strafprozesses, schrieb Nadine Klinkerfuß zwei verzweifelte Briefe. Einen adressierte sie an ihre Eltern in Frankreich, den anderen an ihren Mann im Gefängnis Cottbus. Beide Briefe beklagen die Aussichtslosigkeit ihrer Lage und enthalten Abschiedsworte. In den späten Abendstunden, als ihr ebenfalls in Magdeburg lebender Bruder noch einmal bei ihr vorbeischaute und die Wohnungstür aufschloss, roch es nach Gas. Er fand seine Schwester auf dem Küchenboden. Aus dem Herd strömte Gas. Die vier Kinder schliefen unversehrt im Nebenzimmer. Nach der Einlieferung von Nadine Klinkerfuß in die Medizinische Akademie Magdeburg konnte dort nur noch ihr Erstickungstod diagnostiziert werden.
Entgegen ihrem und ihres Mannes Wunsch ließen die DDR-Behörden eine Bestattung von Frau Klinkerfuß in ihrer Heimat Frankreich nicht zu. Man trug sie am 28. März 1979 in Magdeburg auf dem Westfriedhof zu Grabe. Ihr Ehemann durfte nur 15 Minuten an der Bestattung unter der Bewachung von drei Stasibegleitern teilnehmen. Im Zuge einer Amnestie wurde er frühzeitig aus der Haft entlassen. Die beiden älteren Kinder lebten bis dahin bei den Geschwistern von Nadine Klinkerfuß in Magdeburg, die beiden jüngeren in einem Heim. Sie durften ihre Tanten und Onkel nur an den Wochenenden besuchen. Eine Kampagne der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte machte in der Bundesrepublik den Fall bekannt. Mehrere Zeitungen berichteten über die Weigerung der DDR-Behörden, Achim Klinkerfuß und seine Kinder nach Frankreich ausreisen zu lassen. Nachdem sich die französische Botschaft und der französische Außenminister Jean François-Poncet bei seinem DDR-Besuch im Juli 1979 auf Spitzenebene für die Familie eingesetzt hatten, durfte Hans-Joachim Klinkerfuß mit seinen vier Kinder im Sommer 1980 dann doch nach Frankreich übersiedeln.
Selbst 1980, als die Lebensqualität in der DDR sich langsam besserte, war die politische Situation nicht zufriedenstellend.
Geboren: am 9. Januar 1952 in Magdeburg
Gestorben: am 11. Mail 1980
Ort des Vorfalls: 1100 Meter nordostwärts von
Veltheim am Fallstein (Sachsen-
Anhalt) an Herz- und
Kreislaufversagen nach
Minenverletzung
Beim Versuch die Grenze bei Veltheim am Fallstein (Sachsen-Anhalt) nach Niedersachsen zu überwinden, löste Wolfgang Bothe am 7. April 1980 eine am Grenzzaun angebrachte Splittermine aus. Seinen Verletzungen erlag er einen Monat später.
Als Wolfgang Bothe am 9. Januar 1952 auf die Welt kam, hatte die Mutter erst ein Jahr zuvor, mit 23 Jahren, eine Anstellung erhalten. Sie arbeitete als Dienstmagd bei der Familie eines Mühlenbesitzers und zugleich eines Betreibers einer privaten Landwirtschaft in Badersleben.
Was die Abhängigkeit der Mutter als Dienstmagd bedeutete, war nicht vorauszusehen. Die junge Mutter erhielt neben freier Kost und Logis, auch im Privaten „Aufgaben“. Wie groß die Abhängigkeit von ihrem Arbeitgeber war, ist u.a. daran erkennbar, dass die alleinstehende junge Frau ihren Sohn in ein Kinderheim gab. Drei Jahre später holte seine Mutter ihn aus dem Kinderheim wieder auf den Gutshof, auch er musste dort bald mitarbeiten.
Nach der Einschulung beklagte seine Klassenlehrerin die schlechten Noten, doch eine Hilfe beim Lernen gab es für den Jungen zu Hause nie. Auffällig für die Lehrerin war auch, dass Wolfgang körperliche Berührungen reflexartig abwehrte. Er ließ niemanden an sich heran. Für viele Ungereimtheiten während seiner Kindheit musste er eigene Wege zur Bewältigung der Konflikte finden.
1967 verließ er die Schule in der 8. Klasse und begann eine Lehre als Rinderzüchter. Es begann ein langwieriger Kampf um die Möglichkeit unabhängig zu leben, trotz seiner schlechten Voraussetzungen.
Der mittelgroße, schlanke Jugendliche färbte sich dunkle Strähnen ins blonde Haar, trug eine Sonnenbrille und schlüpfte in unterschiedliche Rollen:
Mal fuhr er nach Magdeburg und gab sich dort als Ingenieur und Gemeindearzt aus, anderen erzählte Wolfgang, dass er bald als Auslandsmonteur im Westen arbeiten werden. Sobald er das nötige Kleingeld angespart hatte, reiste er nach Halberstadt. Dort zogen ihn die Kneipen und Diskotheken in den Bann. Er versuchte in diesem Umfeld im Mittelpunkt zu stehen und spendierte in Lokalrunden Sekt.
Im Alltag arbeitete er als Melker, Heizer, Viehpfleger oder Hilfsarbeiter in einem Sägewerk, aber nirgends für längere Zeit. Weil er, öfter bei einem Freund übernachtete, beschimpften ihn seine Kollegen bald als „Homo“ und „Pavian“. Ausgegrenzt von seinem Umfeld, versuchte er am 19. April 1971, in der Nähe von Badersleben in die Bundesrepublik zu flüchten.
Die Flucht gelang nicht und er wurde festgenommen und zu einer Haftstrafe von zehn Monaten verurteilt. Als seine Mutter ihn im Gefängnis besuchte, versicherte er ihr, nie wieder über die Grenze gehen zu wollen.
Über Jahre unternahm er den Versuch, die von Geburt gegebenen sozialen Existenz zu verändern. Das erforderte einen immensen Kraftaufwand.
Im März 1980 bemerkten seine Kollegen des VEB Getreidewirtschaft in Badersleben Veränderungen im Wesen von Wolfgang Bothe. So fuhr er gleich nach Feierabend nach Haldensleben zu einem Freund. Seit 30. März1980 ging er auch nicht mehr seiner beruflichen Tätigkeit nach.
Der 28-Jährige Wolfgang Bothe fuhr am 7. April 1980 auf der heutigen B 79, die von Badersleben (Landkreis Harz) in das niedersächsische Mattierzoll führt. Bei Veltheim am Fallstein löste er 60 Meter vor dem Grenzverlauf eine, am äußeren der beiden Grenzzäune angebrachte, Splittermine aus.
Unmittelbar nach der Explosion wurde er bewusstlos, von Angehörigen der DDR-Grenztruppen, ins Kreiskrankenhaus Halberstadt transportiert. Bis auf seinen Personalausweis, den Sozialversicherungsausweis und 16 Pfennige in einer Geldbörse, trug er nichts bei sich. Seine Verletzungen waren gravierend: 28 Splitter waren unter anderem in den Schädel und den Brustkorb eingedrungen. Sie waren die Ursache für seinen Schock Schockzustand. Die Diagnose zeigte weiterhin Verletzungen in der Lunge und in der Leber auf sowie Zerstörungen im Hirn.
Noch in der gleichen Nacht entschlossen sich die Ärzte zu einer Notoperation. Jedoch die Wundheilung verlief nicht komplikationsfrei. In zwei weiteren Operationen gelang es auch nicht, einen Splitter aus dem Gehirn zu entfernen.
Immer noch nicht ansprechbar, verhielt sich Wolfgang Bothe sehr unruhig. Wie schon in seiner Kindheit, reagierte er auch jetzt auf Berührungen sehr aggressiv. Staatsanwaltschaft Magdeburg hatte einen Haftbefehl gegen ihn erlassen. Daraufhin beurteilten die Mediziner am 6. Mai 1980 die Genesungsaussichten des Patienten skeptisch. Aufgrund des Hirndefekt konnte er auch keine Fragen zu seinen Fluchtmotiven verstehen oder beantworten. Seiner Entlassung war nur in ein psychiatrisches Pflegezentrum möglich.
Fünf Tage später, am 11. Mail 1980,versagten Herz und Kreislauf von Wolfgang Bothe.
Recherche: jos., St.A, TP , jk, US
Quellen:
- Bezirksbehörde Deutsche Volkspolizei Magdeburg: Rapport Nr. 91/71 für die Zeit vom 20.04.71 03.00 Uhr bis 21.04.71 03.00 Uhr. Magdeburg, 21.04.71. LASA Magdeburg, M 24 Nr. 809.
- MfS, HA IX, VSH: Karteikarten zu Wolfgang Bothe. BStU, ZA, MfS, HA IX, VSH (KK).
- Staatsanwaltschaft Magdeburg: Verfahren gegen Harald Bär und Johannes Fritsch wegen Totschlags, Az. 33 Js 3441/95, II. Einzelfälle 502 Ks 13/95.
- Marxen, Klaus/Werle, Gerhard (Hrsg.): Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze. Band 2/2. Teilband. Berlin 2002, S. 499–641.
Der politische Einfluss machte auch vor Kultur und künstlerischer Entfaltung nicht halt. Auch in diesem Bereich muss unsere Stadt ein Opfer betrauern.
Geboren: am 10. Februar 1968 in Plauen
Gestorben: am 9. August 1986
Ort des Geschehens: bei Petržalka^, Grenzstein 12/11 – 12/12, 11, von Grenzhunden
schwerst gebissen, im Militärkrankenhaus in Bratislava
an seinen schweren Verletzungen erlegen
Am 10. Februar 1968 wurde Bruno Tautz in Plauen geboren. Er wuchs in einer bürgerlichen Familie auf. Sein Vater Hartmut Tautz, ein Magdeburger Zahnarzt und Opernliebhaber, brachte seinem Sohn die Musik nahe. Hartmut Tautz lernte Klarinette und hegte den Wunsch Musik zu studieren.
Erfolgreich legte er das Abitur ab. Dem Magdeburger Abiturienten verwehrten die DDR- Behörden das Musikstudium in der DDR. Da dies sein Herzenswunsch war, beschloss Bruno Tautz die Flucht in die BRD anzutreten. Seinen Fluchtversuch plante er über die tschechische Grenze.
Im August 1986 reiste er nach Prag und von dort aus nach Bratislava. Am Abend des 8. August 1986 versuchte Hartmut Tautz in der Nähe von Petržalka die Grenze nach Österreich zu erreichen. Er hatte bereits mehrere Grenzsicherungsanlagen überwunden und konnte schon die Lichter des österreichischen Dorfes Kittsee sehen, als er einen Signaldraht berührte und bei der 11. Kompanie der Grenzwachbrigade Bratislava Alarm auslöste.
Wenige Meter vor der Grenze zu Österreich ließen zwei herbeigeeilte Grenzsoldaten ihre Hunde von der Leine, diese spürten Hartmut Tautz auf und fielen ihn an. Als die Grenzer den Ort des Geschehens erreichten, begannen sie nicht mit der Versorgung seiner Verletzungen, sondern begannen mit einer Befragung des Verletzten zum Beispiel nach seinen Papieren oder etwaigen Mitflüchtlingen. Die Hunde hatten dem wehrlosen Flüchtling an Beinen und am Kopf schwere Bisswunden zugefügt. Es dauerte noch lange, bis ein Krankenwagen erschien und Hartmut Tautz in das Militärkrankenhaus nach Bratislava brachte. Dort erlag er am 9. August 1986 um 1.15 Uhr seinen Verletzungen.
Am 13. August 1986 schrieb DDR-Konsul Richter aus Bratislava an die DDR- Generalstaatsanwaltschaft, der Todesfall Hartmut Tautz sei in einer Note des Regierungsamtes der SSR vom 11.8.1986 mitgeteilt worden. Der ermittelnde Offizier habe ihm erklärt, „dass wir den Ermittlungsbericht und den Auszug aus dem Obduktionsprotokoll auf dem sonst üblichen Weg nicht erhalten werden”. Er teile deswegen vorab mit, das im Schein über die Leichenschau vom Arzt des Militärkrankenhauses Bratislava und vom obduzierenden Arzt des Gerichtsmedizinischen Instituts als Todesursache Blutverlust und eine „große Anzahl von Biss- und Quetschwunden an Kopf, Körper und Gliedmaßen“ festgestellt wurden. Das Konsulat in Bratislava und das DDR-Außenministerium (MfaA) verzögerten die von den Angehörigen gewünschte Überführung des Leichnams von
Hartmut Tautz. Die Untersuchungsabteilung des DDR-Staatssicherheitsministerium teilte der Magdeburger Bezirksverwaltung mit: „Seitens der Sicherheitsorgane der CSSR wird davon abgeraten, den Eltern des Tautz die Möglichkeit zu geben, ihren Sohn zu sehen, da er schwere Verletzungen im Gesicht und im Halsbereich hat.” Am 22. August rief eine Mitarbeiterin der Urkundenstelle im Rat der Stadt Magdeburg im DDR-Außenministerium an und wies darauf hin, die Mutter sei verzweifelt darüber, „dass sich Überführung so in die Länge zieht.” Sie habe im Generalkonsulat angerufen, der Konsul habe „überhaupt nicht Bescheid“ gewusst. Am 27. August 1986 rief der MfaA-Mitarbeiter Balschulat bei der Abteilung Inneres der Magdeburger Stadtverwaltung an und teilte mit, dass inzwischen die Freigabe erfolgt sei. Das Bestattungswesen Berlin habe den Leichnam zur Nachobduktion durch Professor Otto Prokop im Institut für gerichtliche Medizin der Charité eingeliefert. Anschließend werde der Sarg zu dem von den Angehörigen gewünschten Ort der Beisetzung, dem Magdeburger Waldfriedhof.
Recherche: AH, MP, US , SM, jos., CB, App., HP
Quellen:
- Zácek, Pavel; Faulenbach, Bernd; Mählert, Ulrich (Hrsg.): Die Tschechoslowakei 1945/48 bis 1989. Studien zu kommunistischer Herrschaft und Repression, Leipzig 2008, S. 152.
- Vodicka, Karel: Die Prager Botschaftsflüchtlinge 1989. Geschichte und Dokumente, Göttingen 2014, S. 299.
- MfAA, HA Kons. Angelegenheiten: Kartei über Todesfälle von DDR-Bürgern im Ausland.PAAA.
- Schreiben des Generalkonsulates der DDR an Generalstaatsanwalt der DDR über MfAA, HA Kons. Angelegenheiten, Sektor III, vom 13.8.1986. BArch Berlin, DP 3 / 1457.
- MfS, BV Magdeburg: Bericht über die Festnahme eines DDR-Bürgers durch die Sicherheitsorgane der CSSR. BStU, MfS, BV Magdeburg AP Nr. 2081/86 2.
- DDR-Konsulat Bratislava: Fernschreiben an Rat der Stadt Magdeburg zum Sterbefall Kraus [Tautz] Hartmut und weiterer Schriftwechsel. PAAA, ZR 340/88 (Sterbefälle DDR-Bürger im Ausland T-Z 1986).
- Standesamt I zu Berlin: Urkunde Nr. 202, S-Rep 500 Nr. 326.
- Pulec, Martin: Organizace a cinnost ozbrojených pohranicních složek. Seznamy osob usmrcených na státní hranici. Praha 2006, S. 209.
Nicht nur die politische, sondern insbesondere die wirtschaftliche Situation der DDR war sehr problematisch. Weder Wohnraum, welcher der massiven Zerstörung der Innenstädte zum Opfer fiel, noch Güter des täglichen Bedarfs standen zur Verfügung. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln war katastrophal. So versuchten einige Bürger ihre Familie durch das Schmuggeln von Ressourcen aus der BRD in die DDR zu versorgen.
Geboren: am 10. März 1905 in Groß
Santersleben
Gestorben: mutmaßlich am 31. Mai 1952
Ort des Vorfalls: verunglückt auf dem Weg über
die Grenze, geborgen am 19.
Juni 1952, Lappwald bei
Schwanefeld (Sachsen-Anhalt)
Marianne Rogge, geborene Pilzkam am 10.März 1905 in Groß Santersleben zur Welt. Auch über sie wissen wir nichts aus der Zeit der Kindheit und Jugend.
Kaufmann Hermann Rogge ging 24. Februar 1934 mit Marianne Pilz in Magdeburg die Ehe ein. Zehn Jahre später, 1944 erhält die Familie Zuwachs, eine kleine Tochter. Der Zweite Weltkrieg liegt in den letzten Zügen. Herrmann Rogge dient allerdings noch in der Wehrmacht. Am 14. März 1945, kurz vor der Kapitulation Deutschlands, fällt noch Mariannes Ehemann, Herrmann Rogge, dem Krieg zum, Opfer. So muss Käthe Arndt für sich und ihre Tochter allein sorgen. Bekannt ist, dass sie 1952 mit ihrer Tochter im Uchtdorfer Weg am Stadtrand von Magdeburg wohnte. Hier hat sie auch Käthe Arndt kennengelernt, die nur 15 Minuten Fußweg entfernt wohnte.
Die Situation der Familie Rogge (Mutter und Tochter) war vergleichbar mit der der Familie Arndt. Aus diesem Grund beschlossen die beiden Freundinnen, das Wagnis einzugehen und den Weg in den Westen anzutreten, damit die Notlage für die Familien etwas mildern konnten.
Gemeinsam wagten die Frauen Ende Mai 1952 den abenteuerlichen Weg in Richtung Helmstedt. Kurz vor ihrem Ziel wurde die Dunkelheit und der mühsame Weg ihnen zum Verhängnis. Sie stürzten beide in die Tiefe und ertranken. (Vgl. Käthe Arndt-Opfer 3)
Die Leichen der beiden Frauen entdeckte eine Streife der Grenzpolizei.
Im Rapport wurde gleichlauter Eintrag wie bei Käthe Arndt formuliert: „Vermutlich handelt es sich um illegale Grenzgänger“.
Selbiges Sterbedatum wie bei Käthe Arndt weist das Sterberegister der Gemeinde Beendorf auf.
Recherche: jk, US
Quellen:
- Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt – Operativstab: Rapport Nr. 151/52 für die Zeit vom 19.6.52 05 Uhr bis 20.6.52 05 Uhr. Halle, 20.6.1952. LASA Mgb., K 14, Nr. 46.
- Hauptabteilung Deutsche Grenzpolizei: Meldung besonderer Vorkommnisse Nr. 145/52 für die Zeit vom 20.6.1952, 06.00 Uhr, bis 21.6.1952, 06.00 Uhr. Berlin, 21.6.1952. BArch Freiburg, DVH 27/130330.
- Stadtarchiv Magdeburg, Abteilung Personenstandswesen: Auskunft vom 09.06.2016. Standesamt Beendorf: Sterbeeintrag Nr. 5 vom 21.06.1952. Verbandsgemeinde Flechtingen, Standesamt.
Durch die herausragende kostenlose Bildung und Studienmöglichkeit innerhalb der DDR verfügte der sozialistische Staat über gut ausgebildete Fachkräfte. Eine daraus resultierende Abwanderung in die BRD musste unterbunden werden, da die für den Staat kostspielige Ausbildung somit keinen Nutzen für die DDR brachte. Die politische Konsequenz dieser Entwicklung war der Bau der Berliner Mauer und der Grenzanlagen an der innerdeutschen Grenze. Damit sollte die Flucht oder das Abwandern der Bevölkerung aus der DDR verhindert werden.
- Geboren am 24. Januar 1943 in Königsberg
heute: Kaliningrad, Russland)
- In der Elbe am 20. März 1962 ertrunken
- aus der Elbe geborgen am 26. Mai 1962
- Ort des Vorfalls: Elbe bei Lütkenwisch (Brandenburg)
Hans-Peter Mielau kam als Sohn eines gelernten Schlossers am 24.Januar 1943 in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad in Russland, zur Welt.
Bei seiner Geburt diente sein Vater bereits in der Wehrmacht. Seine Mutter kümmerte sich als Hausfrau um die beiden Söhne Hans- Peter und seinen fünf Jahre älteren Bruder Günter.
Wegen den drohenden Kriegshandlungen floh die Familie Mielau 1944 nach Behnsdorf, 1948 mussten sie bereits nach Magdeburg weiterziehen.
Ein Jahr später erfolgte die Einschulung von Hans-Peter. Er erzielte sehr gute schulische Leistungen und wechselte auf Grund dieser 1957 mit Beginn der 9. Klasse in die Erweiterte Oberschule Geschwister Scholl. Auch das Abitur meisterte er mit Bravour. Hans- Perters Interessen galten besonders der Meeresforschung. Seit 1957 gehörte er bereits der Tauchsportgruppe in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) in Magdeburg an.
In der Abschlussbeurteilung der Erweiterten Oberschule (EOS) Geschwister-Scholl heißt es: Seitdem „er einmal an der See gewesen war und Tauchen gelernt hatte, ist er fest entschlossen, Meeresforscher zu werden“.
An seinem 18. Geburtstag unterschrieb Hans-Peter Mielau seine Bewerbungsunterlagen für das Studium an seiner Wunschhochschule, der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald. Nachdem er im September 1961 einen Speziallehrgang der GST-Sektion Tauchsport in Arkona (Insel Rügen) absolviert hatte, konnte er im Oktober sein Studium an der Greifswalder Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaft mit dem Berufsziel des Diplom-Biologen aufnehmen.
Wegen seines Studiums beantragte die Universität seine Freistellung vom Grundwehrdienst bis 1966.
Er wohnte mit drei weiteren Biologiestudenten in einem Internatszimmer in Greifswald. Am Wochenende fuhr er dann oft von dort nach Magdeburg zurück, um seine Eltern zu besuchen.
Die jungen Männer genossen ihr Studentenleben. Die Art und Weise, wie sie das taten fand aber im Prorektorat und in der Hochschulgruppenleitung bald Anstoß. Warum? Mit rund 50 Bildern, die zum Teil aus der Bundesrepublik stammten, dekorierten sie ihr Zimmer. Der Aufforderung der Universität diese Bilder zu entfernen, leisteten sie keine Folge. Außerdem weigerten sich die Studenten einen Tisch, den sie ohne Erlaubnis aus dem Clubraum in ihr Zimmer gestellt hatten, an
Diese „Uneinsichtigkeit“ blieb nicht ohne Folgen. Mit Hilfe einer „disziplinarischen Strafe“ erfolgte eine Umquartierung „in ein weniger ansprechendes Internat der Universität“.
Diese und einige andere Maßnahmen führten dazu, dass die einst positive Einstellung zum Staat DDR sich allmählich wendeten. Im Ergebnis dieser politischen Neuorientierung kam es dazu, dass er „an allen Organen und Institutionen etwas auszusetzen“ (Aussage einer Tante aus Salzgitter) hatte. Der westdeutschen Sporttaucherverbandes rief zu einem Wettbewerb auf und schrieb ein Preisgeld in Höhe von 5.000 Mark aus. Mielau verfasste einen Artikel und gewann damit den Wettbewerb. Das Preisgeld nutze er zum Kauf einer neuen Tauchausrüstung in der BRD. Das Paket mit der neuen Ausrüstung wurde durchsucht und die Tauchausrüstung vom DDR-Zoll beschlagnahmt. In einer im Anschluss folgenden Vernehmung durch die Volkspolizei in Rostock, beschuldigte man ihn, „Verbindung zu feindlichen Organen“ aufgenommen zu haben. In einem Gespräch mit seinem Bruder äußerte er sich unter dem Eindruck dieser Erfahrungen, dass er „lieber ein kurzes schönes Leben [hätte], als so weiterzuleben wie bisher“.
Als er am 17.März 1962 seine Eltern wieder einmal besuchte, war sein Verhalten anders als sonst. Seine Mutter dachte, er hätte Heimweh, das war jedoch nicht der Grund, weshalb Hans- Peter auf Besuch war.
Gemeinsam mit Klaus Kühne, einem Freund aus der Magdeburger GST-Tauchgruppe, hatte er früher schon über einen möglichen Tauchgang durch die Elbe gesprochen, um auf diesem Weg die DDR zu verlassen. Nun drängte sein Freund ihn zur Umsetzung der geschmiedeten Pläne per Brief.
Als Hans-Peter Mielau am frühen Nachmittag des 19. März sein Elternhaus verließ, lebte seine Mutter in der Gewissheit, dass sich ihr Sohn wieder nach Greifswald zum Studium begibt. Jedoch war das ein Irrglaube.
Gemeinsam mit Klaus Kühne fuhr er von Magdeburg aus in Richtung Wittenberge, Nördlich von Wittenberge stiegen die beiden jungen Männer in der Nacht vom 19. zum 20. März, mit zum Teil selbstgefertigten Tauchausrüstungen in die Elbe. Der Tauchgang verlief flussabwärts in Richtung des niedersächsischen Schnackenburg.
Für seine Zukunft im Westen führte Hans-Peter Mielau sein letztes Schulzeugnis, Studienunterlagen und seinen Tauchpass mit sich. Diese schütze er vor dem Wasser in einer trug in einer Brotbüchse mit sich, die er zuvor gegen Wasser isoliert hatte.
Aus bisher ungeklärten Gründen stieg Klaus Kühne gegenüber von Jagel ans westliche Elbufer. Vermutlich glaubte er zu früh, dass er bereits im „Westen“ ist, oder es entwickelten sich Komplikationen während des Tauchgangs. Als er auftauchte bemerkte die Besatzung eines Streifenbootes der DDR-Grenztruppe ihn gegen 3 Uhr. Die Grenzer feuerten so lange auf ihn, bis er unter der Wasseroberfläche blieb. Er wurde schwer verletzt und letztendlich tauchte er nicht mehr auf.
Der niedersächsische Zoll beobachtete am 20. März, wie DDR-Grenzboote mit an Stangen befestigten Trossen den Elbgrund absuchten.
am 24. März wurde Hans-Peter Mielaus ahnungslose Mutter von einem Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes aufgesucht. Dieser eröffnete ihr, dass ihr Sohn mit Klaus Kühne in der Nähe von Wittenberge die Elbe durchschwimmen wollte. Der MfS-Mitarbeiter erklärte ihr, dass einer der beiden eventuell den Westen erreicht haben könnte, der andere aber schwer verletzt worden sei.
Die Hoffnung, dass Hans-Peter Mielau die Flucht gelungen sei, wurde am 26. Mai 1962 zerstört. An diesem Tag fand ein Fischer am niedersächsischen Elbufer am Holtorfer Haken, nördlich von Schnackenburg, eine Leiche.
Noch vor Ort nahmen Beamte der Kriminalpolizei Uelzen und ein Mediziner die Leichenschau vor. Bekleidet war der Tote mit einem vollständigen Taucheranzug, vor die Taucherbrille saß noch im Gesicht, nur das Mundstück hatte sich gelöst.
Durch die Beobachtungen des niedersächsischen Zolls war bekannt, dass auf einen Flüchtling in der Nacht vom 19. Zum 20. März geschossen worden war. Aus diesem Grund überprüften Fachleute die Ausrüstung auf Schusseinwirkung. Die Ausrüstung und Verbindungsschläuche waren unbeschädigt. Lediglich die Sauerstoffflaschen waren leer. Auch die Entkleidung der Leiche führte zu keiner Feststellung von Schussverletzungen. Somit konnte die Obduktion von Hans- Peter Mielau am 29. Mai in Dannenberg die Todesursache nicht klären.
„Das Ergebnis der Leichenöffnung spricht nicht gegen die Annahme eines Todes durch Ertrinken“, heißt es im Bericht des Amtsgerichts Lüchow.
Die sterblichen Überreste Hans-Peter Mielaus wurden noch am gleichen Tag zur Grenzübergangstelle Marienborn überführt. Hier konnte seine Mutter
Den Sarg in Empfang nehmen. Seine Beisetzung fand in Magdeburg statt. Die Mutter sagte später, dass die früheren Schul- und Arbeitskollegen ihrem Sohn das letzte Geleit gaben, aber niemand von der Universität Greifswald dem Begräbnis beiwohnte.
- Recherche: jk, jos., St.A
- Quellen:
- Studentenakte Hans-Peter Mielau. Universitätsarchiv Greifswald.
- HV Deutsche Volkspolizei Operativstab: Rapport Nr. 103 für die Zeit vom 12.4.1962, 04.00 Uhr, bis 13.4.1962, 4.00 Uhr. Berlin, 13.4.1962. BArch Berlin, DO 1/2.3/88392.
- Berichte der Zentralen Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter über Gewaltakte der Nationalen Volksarmee und der Grenzpolizei der DDR, 1962–1964. NLA Hannover, Nds. 220, Acc. 23/73 Nr. 2.
- Zentrale Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter: V-ERMV Strafsache gegen Unbekannt wegen Totschlags (z. N. Hans-Peter Mielau), AR-ZE 219/62. BArch Koblenz, B 197/317–319.
- Die Geschichte von Klaus K., der in die Freiheit tauchen wollte. In: Berliner Zeitung, 12.08.2010.
Geboren: am 28.02.1964 in Wolmirstedt
Gestorben: am 23.05.1988
Ort des Vorfalls: Grenzübergang Marienborn
durch einen Autounfall tödlich
verletzt.
Das 15. und letzte Magdeburger Opfers ist Klaus-Dieter Felsch.
Sein Geburtsort Wolmirstedt, sein Geburtstag der 28.Februar 1964. Über seinen Lebensweg ist nicht viel in den, uns vorliegenden, Dokumenten zu finden.
Wir fanden heraus, dass er den Beruf des Bergbau- Facharbeiters erlernte. Zum Zeitpunkt seines Fluchtversuches arbeitete er als Kraftfahrer beim Starkstromanlagenbau in Magdeburg Sudenburg. Er hat sehr jung geheiratet, denn die Unterlagen sagen aus, dass er mit 24 Jahren bereits wieder geschieden ist. Während seiner Ehe wurde sein Sohn geboren, den er sehr liebte.
Nach der Trennung von seiner Frau, lernte er eine neue Partnerin kennen, mit der er gemeinsam in Magdeburg wohnte. Trotz der neuen Partnerschaft setzte ihm die Trennung von seinem eineinhalb Jahre alten Sohn, der bei seiner Mutter lebte, sehr zu. So oft er konnte, besuchte er ihn deshalb auch. Nach seiner Scheidung traten in der Folgezeit vermehrt Stimmungsschwankungen bei ihm auf, der Grund ist nicht genannt.
Sonntag, der 23. Mai 1988.
Herr Felsch bespricht mit seiner Lebenspartnerin, dass er seinen Sohn besuchen möchte und begibt sich auf den Weg.
Tatsächlich verfolgt er aber ein ganz anderes Ziel, als er in seinen Skoda steigt. Felsch steuert in Richtung Westen, Marienborn auf die innerdeutsche Grenze zu.
19.41 Uhr:
Er will den DDR-Grenzkontrollpunk Marienborn illegal überqueren, daher versuchte Felsch, sich den Kontrollhandlung der Polizei zu entziehen. Er erhöhte systematisch das Tempo und raste auf den Kontrollpunkt zu.
Die Warnrufe und Handzeichen der Politzisten überhörte bzw. übersah er absichtlich. Zwei, am Kontrollpunkt parkende Autos, konnte er noch überholen. Die letzte Sperre war eine, an der Grenzanlage, abgesenkte Stahlsperre. Er prallte mit seinem Fahrzeug frontal auf die Stahlschranke. Dabei wurde der Skoda völlig zerstört. Herr Felsch fand man in seinem Auto stark blutend und nicht ansprechbar vor. Der sofort gerufener Bereitschaftsarzt, trifft an der Unglücksstelle um 20.19 Uhr aus Magdeburg ein. Dr. Dudek (Bereitschaftsarzt) diagnostizierte ein schweres offenes Schädelhirntrauma und schwere Verletzungen im Bereich des Brustkorbs.
Klaus-Dieter Felsch erliegt um 20.33 Uhr in der Kontrollbaracke seinen schweren Verletzungen.